Rede zum Neujahrsempfang der Stadt Grafing, 05.01.2020

Liebe Grafingerinnen und Grafinger,
ich möchte Sie ganz herzlich zum Neujahrsempfang 2020 begrüßen.
Zum sechsten Mal schon darf ich Sie als Bürgermeisterin unserer schönen Stadt zum Neujahrsempfang willkommen heißen.

  • Ganz herzlich begrüßen möchte ich unseren Ehrenbürger, Herrn Dr. Mischlewski, der zu unserer allergrößten Freude vor wenigen Wochen seinen 100 Geburtstag gefeiert hat. Welch‘ ein Schatz, sich mit ihm zu unterhalten. Wie authentisch die Erinnerungen, wenn er aus seinem reichen Leben erzählt.
  • Herzlich begrüßen möchte ich auch Herrn Pfarrer Dr. Mutonkole und Herrn Pfarrer Axel Kajnath.
  • Herzlich und mit Freude begrüße ich Doris Rauscher und Thomas Huber, unsere Vertreter im Bayerischen Landtag.
  • Vertreter der Feuerwehr, des BRK und alle Ehrenamtlichen
  • Stadträtinnen und Stadträte
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung
  • Meiner Assistentin Frau Häusser für die Organisation
    und das Stadthallenteam für Speis und Trank und Ton und Bestuhlung.
  • Begrüßen möchte ich auch Michi Seeholzer vom Merkur, Elisabeth Urban von der Süddeutschen und Frau Redinger vom Hallo. Vielen Dank für euer ehrliches Interesse an Grafing.
  • Ich bedanke mich bei der Musik, bei Joachim Jann am Saxophon und Davide Roberts am Flügel.

Jede und jeder freut mich, der heute in die Stadthalle gekommen ist, denn sie oder er zeigt damit ehrliches Interesse an Grafing, an seinen Grafinger Mitbürgern und auch an der Politik.

Mich freut auch, dass wir uns hier in der Stadthalle treffen. Wegen des laufenden Bürgerbegehrens muss ich mich hier ja neutral verhalten, aber Sie, liebe Grafinger, erwarten zurecht meine Meinung – was für ein juristischer Drahtseilakt … Also ich würde die Stadthalle als unser zentrales Kulturzentrum gerne sanieren und renovieren, ich würde auch gerne den kleinen Saal unterm Dach nutzbar machen. Wenn, ja wenn, die Sanierungsmaßnahmen finanziell irgendwie darstellbar sind. Aber meine Meinung ist auch, „dass der, der jetzt meint, die Lösung zu wissen, der weiß gar nichts“.
Ich bin mir sicher, wir finden eine Lösung, mit der alle zufrieden sind. Konsens nennt man das – und Konsens sehe ich als das wichtigste Element meiner Politik. Nein, ich meine keinen Kompromiss. Ein Kompromiss kann auch ein Ergebnis sein, mit dem niemand zufrieden ist.
Ich meine auch keine Mehrheitsentscheidung; mit der ist fast die Hälfte immer unzufrieden.
Aber ein guter Konsens ist einvernehmlich und erfüllt alle mit Stolz und Zufriedenheit.
Mit unzähligen Konsenslösungen habe ich es jetzt fast 6 Jahre lang geschafft, eine heterogene Gruppe – sprich Stadt und Stadtrat – zusammenzuhalten und zu leiten.
Stadtentwicklung mag manchmal etwas mühsam wirken – zumindest fordert Stadtentwicklung, fordern Verwaltungsprozesse meine persönliche Ungeduld heraus. Revolutionen erschrecken die Leute und erzeugen Widerstände. Dagegen ist Evolution mühsam, aber erfolgreich.
Aber: „kurz bevor etwas gelingt, ist der Lärm am größten“.

Angelika Obermayr

Gelingen wird uns die Energiewende. Der tosende Lärm ist zumindest jetzt schon unüberhörbar. Junge Menschen gehen auf die Straße – mittlerweile begleitet von ihrer Großelterngeneration, die sie mit schaudernder Erinnerung an die Demos ihrer Jugend begleiten. Laut sind aber auch die Menschen, die gar nix ändern wollen und sowieso an eine Verschwörung glauben.
Und mittlerweile tauchen sogar immer mehr auf, die sich nicht in der Lage sehen, selber Verantwortung zu übernehmen und deshalb lautstark nach Verboten rufen.
Aber, wie gesagt: „kurz bevor etwas gelingt, ist der Lärm am größten“.
Der Klimawandel hat uns in Europa lange kalt gelassen – im wahrsten Sinne des Wortes. Über ein bissl mehr schöneres Wetter haben wir uns gefreut. Aber dieses Jahr ist es mir einfach zu heiß gewesen. Dauerhaft über 30 Grad – dafür ist meine mitteleuropäische Genetik einfach nicht ausgelegt.
Aber die Energiewende ist machbar. Die Technologien existieren und müssen nur eingesetzt werden. Energie ist nicht knapp: Solarkraft, Wind, Wasser, Biomasse. Energie und Know-how sind da und müssen nur genutzt werden. Bereits 40% unseres Energiebedarfs wird von Erneuerbaren gedeckt. Da geht noch mehr.
Nein – ich rede nicht von Verzicht, von Rückkehr in die Erdhöhle. Ich rede von echtem Gewinn an Lebensqualität. Ein Raumklima in einem gedämmten Haus ist ein Genuss, eine Photovoltaik-Anlage ist spannende Technik und spart Geld, E-Mobilität ist cool und leise, Radfahren spart Parkplatzsuchen, Zugfahren ist entspannend.
Ich rede von Optimismus! Von Handlungsoptimismus! Deutschland war immer ein Land der Innovation, der Hochtechnologie und der Wissenschaft – und das muss auch so bleiben.
Wir schaffen die Energiewende mit Mut und Optimismus.

Es geht uns gut in Grafing!
Fast alle Flächen im neuen Gewerbegebiet sind verkauft. Überwiegend an einheimische Betriebe, die mit ihren wachsenden Arbeitsplätzen hier in Grafing bleiben. Die machen z.T. in der Stadt Platz frei für Wohnbebauung. Gut, wenn innenstadtnah Wohnungen entstehen, das spart manche Autofahrt.
Verkauft sind auch die Wohnungen im Aiblinger Anger. Viele junge Grafinger Gewächse sind dort eingezogen. Und viele Familien aus Grafing und dem näheren Umland haben dort ihr Geld in Wohnraum investiert. Es scheint uns also doch ganz gut zu gehen.
Alle Ortsteile (fast!) sind kanalisiert und die Wasserburger Straße ist endlich neu. Und auch einen g‘scheiden Radlweg nach Grafing Bahnhof gibt es.
Was steht an in den nächsten Jahren?
Verkehr. Alleine, wenn ich an die 2,5% mehr Fahrzeuge denke, die jährlich zusätzlich im Landkreis zugelassen werden, erfüllt mich das mit Sorge. Wir haben mittlerweile einfach ein Platzproblem. Wo sollen denn die ganzen Autos fahren? Wo sollen sie denn parken – die Zweit- und Dritt-Autos?
Es gibt ja auch dankenswerterweise immer mehr Radler. Und noch wird auch in Grafing viel zu Fuß gegangen. Aber der verfügbare Platz wird zu eng. In einer Stadt, die für Pferdefuhrwerke und Fußgänger konzipiert wurde.
Ich fahre ja gerne und viel mit dem Radl zu meinem Büro um Rathaus und in Grafing herum. Ich merke aber da in letzter Zeit immer mehr einen Verteilungskampf auf den Straßen und zunehmende Aggressivität. Ich hoffe hier immer, dass nicht nur Vernunft, sondern auch Bequemlichkeit einkehrt. Allein diese Parkplatzsucherei nervt und es ist einfach bequemer, zu radeln oder zu Fuß zu gehen.
Und ich hoffe immer wieder, dass die STVO so geändert wird, dass es für eine Kommune ganz einfach wird, Tempo30 oder Fußgängerüberwege einzurichten. Da, wo eine Stadt es für richtig befindet.
Wir werden eine Gartenstraße Neu brauchen, einfach um den Marktplatz überhaupt entlasten zu können. Wir werden sie angehen, sobald das möglich ist, aber ein paar juristische Hürden gibt es leider noch!
4 zusätzliche Kitas werden fertiggestellt werden. Und ja, wir werden noch eine weitere Einrichtung in Angriff nehmen müssen. Wer hätte noch vor einigen Jahren gedacht, dass so viele unter 3-Jährige in die Krippe gehen?
Am neuen Berufsschulgelände in Grafing Bahnhof wird eine Sporthalle entstehen. Auch hier wird sich die Stadt finanziell beteiligen, um Platz für Grafinger Sportler zu schaffen.

Ich sehe, seit ich Bürgermeisterin bin, dass es in der Gesellschaft und natürlich auch in Grafing viele Gruppierungen gibt, die viel für unser Gemeinschaftsgefühl arbeiten, aber doch oft wenig miteinander zu tun haben. Auf Neu-Deutsch sagt man auch „Blase“ dazu.
Als Bürgermeisterin habe ich die tolle Gelegenheit, in alle diese unterschiedlichsten Gruppierungen hineinzuschmecken. Mein Ziel war es immer und ist es, die verschiedenen Gruppierungen auf ihren Inseln zu vernetzen, zusammenzufügen, in Kontakt zu bringen.
Das ist auch das Verdienst vieler Menschen. Menschen, die sich fragen „Was kann ich für Andere tun?“ Menschen, die sich in die Gemeinschaft einbringen, das Grundrauschen einer funktionierenden Gemeinschaft bilden.

Ich möchte mich heute bei einigen Bürgerinnen und Bürgern bedanken für ihr jahrelanges ehrenamtliches Engagement.

Angela Reichmeyer und fair
Angela Reichmeyer ist immer schon überall ehrenamtlich aktiv. In der evangelischen Kirche, bei fair Grafing. Dort war sie am Aufbau beteiligt und ist mittlerweile Vorstand, zusammen mit Uwe Peters und … Die fair Genossenschaft besteht seit 2006, hat mittlerweile eine Premium-Position am Grafinger Markplatz und bereichert die Grafinger Geschäftsszene.

Helma Kandlbinder-Zilk,
war maßgeblich am Aufbau der Grafinger Bürgerinnen beteiligt. Die Grafinger Bürgerinnen, nach Aussage eines Mitglieds „ein Emanzenverein“, will die alte städtische Biedermeier-Tracht erhalten. „Wir wollen die alte Tracht präsentieren, damit sie nicht untergeht“, erzählte Frau Kandlbinder-Zilk einmal. „Wir haben alles gesammelt, was herging“, sagt sie. Inzwischen befinden sich im Fundus des Vereins nicht nur alte Kaschmirschals und Riegelhauben, schwarze Röcke, Biedermeier-Schirme, Taschen, sondern auch historische Mieder mit silbernem Geschnür.
Alle zwei Jahre gehen vertreten die Bürgerinnen Grafing am Wiesenumzug.

Maximiliane Prantner
Frau Prantner leitet seit über 10 Jahren die Arbeitsgemeinschaft Leonhardi. Sie kennt jedes teilnehmende Pferd und jeden Rosserer mit all ihren Eigenheiten persönlich. Die Leonhardifahrt, die jedes Jahr so selbstverständlich und reibungslos funktioniert, ist ein organisatorischer Kraftakt. Pferde, Wägen und Rosserer reisen an, treffen sich am Bauhof, müssen sich aufstellen, der Bauhof sichert die Straßen, der Ansager sagt die Promis an, die Kutscheneinteiler sorgen sich um die Belegung der Kutschen. Jeder weiß seine Aufgabe und ein sorgfältig geöltes Räderwerk greift ineinander.
Maxi Prantner kann heute leider wegen einer Familienfeier nicht kommen und vertreten durch Herrn Bernhard Polland, den zweiten Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft. Auch an Ihn vielen Dank für seinen jahrelangen Einsatz.

Herr und Frau Kristen,
Herr Kristen filmt gerne. Und er zeigt seine vielen Filme gerne – oft in der Bücherei der Stadt Grafing. Von seinen Reisen, von Ritualen und Bräuchen. Wenn Sie mal einen Film von ihm sehen wollen, vergessen Sie nicht zu reservieren, denn dein Fan-Kreis ist groß und die Kino-Abende meist ausverkauft.

Frau und Herr Scheid,
Wir können froh sein, bei uns am Land so ein Kino zu haben. Die Qualität ist hoch. Oft kann man Premieren oder Vorpremieren sehen. Ich spar mir die Fahrt nach München oder Rosenheim und habe Kino vom Feinsten. Der große Saal hat den Charme aus den 50ern und die Bequemlichkeit eines modernen Kinos. Unser außerdem gibt es Popcorn oder Gummibärchen. Auch Vereine haben die Möglichkeit, Filme zu zeigen, auch hier sind die zwei Kinosäle immer voll. Ich wäre gerne viel öfters bei Ihnen – bei einem spannenden Film und einer Packung saurer Gummibären.

In dem Sinne wünsche ich mir, dass immer weitere Welten zusammenwachsen zu einem lebenden Gemeinwesen, zu einer immer noch mehr liebenswerten Stadt.
Harmonie ist mir wichtig. Wir müssen nicht immer einer Meinung sein. Wir kriegen eine Stadt nicht besser gemeckert. Das Ziel muss immer im Blick bleiben:
Unsere Stadt, in der wir gerne leben und in der wir gerne zusammenleben.
Und nun lassen Sie uns anstoßen auf das Neue Jahr und gleich hier und heute die Möglichkeit nutzen, getrennte Welten, Neues und Altes, Fremdes und Vertrautes, zu verbinden.
Leid, seid’s freindle zuanand, red’s mitanand!
Danke, liebe Grafinger!

Rede zum Volkstrauertag 2014

Liebe Grafingerinnen und Grafinger!

Vor 100 Jahren, Anfang August, begann der Erste Weltkrieg, ein Krieg, den unsere Nachbarn auch den Großen Krieg nennen,
• ein Kriegsanfang, der der maßlosen Ignoranz und Überheblichkeit von Mächtigen geschuldet ist,
• ein Krieg, der in Europa nahezu jede Staatsgrenze verschob und nahezu jede Staatsform änderte (Österreich-Ungarn zerfiel, in Russland ging das Zarentum unter, in Deutschland das Kaiserreich),
• ein Krieg, der es letztendlich einem österreichischen Postkartenmaler erlaubte, mit einem Deutschland einen Zweiten Weltkrieg loszutreten,
• ein Kriegsanfang, der zum Ausgangspunkt für all den kriegerischen Unsinn, das Massentöten und die Verwerfungen der letzten hundert Jahre werden sollte,
• ein Krieg, der auch hier in Grafing aus nahezu jedem Haus und jedem Hof seine Soldaten forderte, um sie auf Schlachtfeldern sterben zu lassen.

Es wird immer wieder berichtet, mit welcher Begeisterung unsere Soldaten in den Krieg gezogen sind – überzeugt, nach kurzer Zeit wieder daheim zu sein, als ginge es in einen aufregenden Abenteuer-Urlaub.
Ich glaub‘ das nicht: Hier bei uns, in Grafing, Elkofen, Eisendorf, Dichau, Nettelkofen, Wiesham und Straußdorf, wie überall auf dem Land, war Erntezeit – und mitten in dieser Erntezeit sollten der Bauer und seine Söhne plötzlich eine Uniform anziehen und irgendwohin weit weg fahren, um dort ihnen unbekannte Menschen zu erschießen.
Die Begeisterung wird gering gewesen sein, die Sorge groß, die Angst überwältigend – auch die Existenzangst der daheimgebliebenen Frauen und Mütter.
In seiner Meinung zu diesem Krieg war jeder hier abhängig davon, was ihm Medien und die Gerüchteküche vormachten: Keiner der Handwerker und Bauern, die in den Krieg zogen, wusste doch wirklich, warum und wozu; alle waren sie abhängig davon, was die Regierenden ihnen dazu sagten – und diese sagten ihnen, dass es gerade angebracht wäre, Franzosen oder Russen zu erschießen, weil diese Deutschland bedrohten, und dass das ganz einfach und schnell vorüber sei.

Schon nach 4 Wochen war die kümmerliche Strategie der Generäle gescheitert und Grafinger Burschen saßen in französischen Schützengräben fest.
Um diese Zeit, vor genau hundert Jahren, 3 Monate nach Kriegsbeginn, kamen in die Grafinger Häuser die Meldungen von den ersten Toten;
um diese Zeit läutete oft die Sterbeglocke in Grafing.
130 Grafinger waren es, die für diesen Unsinn starben; das ist ein toter Grafinger alle 12 Tage, 4 Jahre lang, 1.500 Tage lang.

Wer nicht irgendwann erschossen, durch Gas vergiftet oder quälend krank an der Front verendete, saß weiter im Schützengraben, im Dreck, im Hunger, zwischen toten Freunden, in panischer Angst, ständiger panischer Angst, wochenlang, monatelang, vielleicht sogar jahrelang. Vielleicht überlebte er den Krieg sogar, und kam heim. Aber wie „heim“?

Wer den Schützengräben wieder entkommen war, trug unerträglich schwer an dem Erlebten und wurde zu Hause noch nicht mal als richtiger, vollwertiger Held empfangen, denn er hatte ja überlebt.
Er kam heim in eine Nation, die gerade einen Krieg verloren hatte, die gerade mit einer Revolution zu kämpfen hatte. Er kam heim, psychisch schwer gestört und traumatisiert – heute würde man das als „Posttraumatische Belastungsstörung“ bezeichnen. Er kam heim, und in seinem Kopf war immer noch Krieg und Panik jeden Tag.
Aufgefangen mit seiner psychischen Verletzung wurde er da nur bedingt. Am Ende wurde er als „Kriegszitterer“ wenig ernst genommen. Seine Selbsthilfegruppe wurde der Veteranen- und Kriegerverein, wo er sich austauschen konnte mit Kameraden, wo er vom Krieg reden konnte und verstanden wurde, wo er wenigstens versuchen konnte, zu verarbeiten, was er erlebt hatte.
Auch ich habe die Rolle der „Alten, die vom Krieg reden“ lange Zeit nicht verstanden, aber diese Veteranenvereine spielten eine selten verstanden wichtige Rolle für den traumatisierten Heimkehrer.

Einer meiner Vorgänger im Amt des Grafinger Bürgermeisters hatte damals schon die schöne Idee, nicht nur der Toten dieses Krieges zu gedenken, sondern auch der bemitleidenswerten Heimkehrer. Und er sammelte Geld für ein Heimkehrerdenkmal.
Dieses Heimkehrerdenkmal wurde 1929 auf Initiative des Veteranen- und Kriegervereins bei der Pfarrkirche errichtet und sollte seither an die aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrten Soldaten erinnern. Die Widmungsinschrift lautete: „In Dankbarkeit gewidmet ihren vom Weltkrieg wiedergekehrten und in der Heimat verstorbenen Kriegern: Die Pfarrgemeinde Grafing“.
Heute gibt es das Grafinger Heimkehrerdenkmal nicht mehr. Es steht jetzt am Waldfriedhof und ist, einem Wunsch der Heimatvertriebenen folgend, „Unseren in der Heimat verbliebenen Toten“ gewidmet.

Mit den folgenden Gedanken möchte ich schließen:
Passen wir immer auf, dass wir uns nicht hinreißen lassen zu Begeisterung oder Ablehnung, ohne wenigstens zu versuchen, auch die andere Meinung zu hören.
Denken wir daran, was die Geschichtsbücher in hundert Jahren über die, in ihrer Dynamik noch nicht absehbaren, Konflikte des Jahres 2014 schreiben werden.

Rede zum Volkstrauertag 2015

Liebe Grafingerinnen, liebe Grafinger, liebe Vereine und Fahnenabordnungen

Der Krieg wird in Eure Häuser kommen.

Diese Drohung habe ich heute gelesen anlässlich des Mordens in Paris.

Eine Illusion, zu glauben, dass der Krieg in Syrien, Irak, Afghanistan geführt werden kann und auch dort bleibt. Krieg findet irgendwann dort statt, wo die Wirkung am effektivsten, am aufsehenerregendsten, am grauenhaftesten wirkt: 2001 in New York, 2015 in Paris.

Der Krieg wird in eure Häuser zurück kommen.

Genauso wie der Krieg ab 1939 gegen England, Frankreich, Polen usw. usf., Russland …
Irgendwann kam er zurück – der Krieg – in Form von Flächenbombardements deutscher Städte, in Form von Vertreibung, Vergewaltigung, Hunger und ziviler Toten.

Das Instrumentalisieren junger Männer funktioniert auch in der Neuzeit immer noch zuverlässig.
Vor tausenden von Jahren war es noch sinnvoll, dass junge Männer ihre Frauen und Kinder und Haus und Hof aggressiv verteidigt haben. Heute werden mit perfider Manipulation junge Männer missbraucht, mit absurden Begründungen Krieg zu führen: als SS oder SA oder als so genannte Märtyrer der IS.

Bitte halten wir einige Momente inne und gedenken der Opfer von Paris

Ist das nicht seltsam hier:

Fahnen und Fackeln, dazwischen ein paar Uniformen. Aus der Zeit gefallen?

NEIN.

Der Tag, den wir mit dieser Veranstaltung begehen, ist der „Volks-trauer-tag“ – und das ist weit mehr als die Erinnerung an gefallene Soldaten.

Den Volkstrauertag gibt es bereits seit den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg: 1926 wurde er zum ersten Mal begangen – die Deutschen gedachten der Gefallenen des Ersten Weltkriegs.
Die Nazis machten daraus etwas Neues und nannten den Tag nunmehr „Heldengedenktag“. Der Tag wurde martialisch und mit hoher Propagandawirkung begangen.
Bis 1945, dann war der Spuk vorbei.

Seit 1952 begehen wir (wieder) den Volkstrauertag, ähnlich wie es weltweit in vielen Ländern der Brauch ist. Besonders schön können das die Engländer, wo im November Jeder und Jede, aber auch wirklich Jeder und Jede, eine „Poppy“ im Knopfloch trägt, eine Mohnblume zur Erinnerung an die Schlachtfelder des ersten Weltkriegs.

Heute, in dieser Veranstaltung, begehen wir Grafinger den Volkstrauertag:

  • Wir gedenken der gefallenen Soldaten des 1. Weltkriegs, der vor 100 Jahren durch Europa tobte, und auch der überlebenden Soldaten, die verletzt, halb verhungert, traumatisiert wieder heimgekommen sind – und nie mehr die alten geworden sind.
  • Wir gedenken der gefallenen Soldaten des 2. Weltkrieges, dr vor 70 Jahren zu Ende war, und auch der überlebenden Soldaten, die verletzt, halb verhungert, traumatisiert wieder heimgekommen sind – entwöhnt dem normalen bürgerlichen Leben. Vielleicht sich auch schuldig fühlend, aller ihrer Illusionen und Ideale beraubt. Und nie mehr die alten geworden sind.
  • Jeder Soldat war auch Sohn, Ehemann, Freund oder Vater. Zu jedem dieser Soldaten gehörte eine Mutter, ein Vater, eine Ehefrau, eine Freundin oder ein Kind
  • Alles Opfer dieses Wahnsinns.
  • Opfer auch die Frauen, die daheimgeblieben das Leben allein stemmen mussten – sie mussten – aufs Äußerste gefordert – oft alleingelassen, sich um Kinder, alte Eltern, um den Hof, die Arbeit kümmern.
  • Opfer auch die Frauen, die gegen Ende des Krieges Opfer von Vergewaltigungen wurden. Verletzt, allein gelassen oder schwanger.
    Eine Vergewaltigung ist eine perfide Kriegstaktik, seit Jahrhunderttausenden ein Mittel, den Gegner endgültig zu zermürben, indem man ihm die Seele seiner Frauen und Mädchen raubt.
  • Opfer auch die Kinder, die beschützt und umspült von Liebe aufwachsen sollten. Ihr Leben lang haben diese Kriegskinder die Sicherheit vermisst, die nur unversehrte Eltern geben können.
  • Wir gedenken der Vertriebenen und Flüchtlinge. Der Begriff „Heimat“ bekommt eine neue Dimension, wenn wir uns vorstellen, dass noch vor 70 oder 100 Jahren das Dorf 10 km weiter schon „die Fremde“ war. Und jetzt sollte eine Heimat viele hundert Kilometer weiter westlich aufgebaut werden? Das war nicht so einfach, wie man heute tut – wer kann denn heute nachvollziehen, was es heißt, einen vollkommen anderen Dialekt zu sprechen oder evangelisch zu sein in einer rein katholischen Gegend?
  • Und heute: Eine Illusion zu glauben, dass vom Krieg Bedrohte in ihrer Heimat ausharren, und warten, bis alles vorbei ist. Momentan sind so viele Menschen wie seit 1945 auf der Flucht.
    Aber, wer vor Krieg und Terror zu uns flieht, wird hier wohl kaum Krieg und Terror verbreiten wollen, sondern sucht Zuflucht und Zukunft bei uns! Wir wollen sie ihnen weiterhin und ungebrochen geben!
  • Wir gedenken der zivilen Opfer dieser verheerenden Kriege, von uns Deutschen angezettelt.
  • Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in Deutschland von Deutschen ermordet wurden, weil sie vermeintlich nicht dazu gepasst haben.
  • Wir gedenken aller Männer, Frauen und Kinder, die Opfer von Krieg, Diktatur und Gewalt wurden.
  • Und wir gedenken hier und heute der Opfer von Paris, wo Terroristen Tod, Angst und Entsetzen verbreiten.
    Was die Terroristen wollen, ist uns Angst zu machen – dass uns das Entsetzen befällt. Ja, uns befällt Entsetzen, aber dieses darf niemals über unsere Menschlichkeit siegen.

Es ist ein besonders schönes Symbol, dass heute erstmalig auch Abordnungen von Frauen hier dabei sind, Danke an die Grafinger Bürgerinnen, die stellvertretend für andere Frauen neben den Soldaten stehen. Und auch dass erstmalig auch unsere Grafinger Burschen hier als Fackelträger dabei sind.

Dieser Volkstrauertag geht gerade Euch was an – ihr seid heute die Vertreter der Opfer.

Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen
(George Santayana, spanischer Philosoph)

Die, die in den Kriegen gekämpft und sich gegenseitig getötet haben, die waren wie ihr, die waren so alt wie ihr, die wären sehr viel lieber mit Freunden, Braut oder Bräutigam, Geschwistern und Eltern in Freude aufgewachsen und hätten ihren Spaß am Leben gehabt.
Der Volkstrauertag bezieht sich nicht auf längst vergangene Zeiten, er bezieht sich auch auf Euch!

Dieser Volkstrauertag geht alle was an, die hier sind – er geht alle Grafinger was an.
Dieser Volkstrauertag soll auch Stachel in unserem Fleisch sein; ein wenig weh tun und uns gemahnen, aufzupassen.

Aufzupassen, unseren Mitmenschen, jeden Mitmenschen, nicht als Gegenmenschen wahrzunehmen. Jeder Mensch ist unser Mitmensch!

Weil die Toten schweigen, beginnt alles wieder von vorne“,
(Gabriel Marcel, französischer Philosoph)

Müssen denn die Toten schweigen? Die Opfer, derer wir hier gedenken, sollen uns auch mahnen, aufzupassen; aufzupassen, was heute um uns herum geschieht.
Denn wir müssen leider auch heute erleben, dass es einige schaffen, mit hasserfüllten Reden eine viel zu große Schar an Anhängern aufzupeitschen, die ihnen gedankenlos folgen, den Hass aufnehmen und weitertragen.

Lassen Sie uns diesen Volkstrauertag zum Anlass nehmen, dass die Toten nicht schweigen.
Lassen Sie uns die gelebte Erinnerung an die vielen Toten und Opfer zum Reden bringen – sie wollen uns mahnen, aufzupassen!

Es ist schön, in Frieden zu ruhen, aber es ist besser, in Frieden zu leben.

Wirklicher Friede ist niemals sicher – er muss immer wieder neu gewonnen werden

Angelika Obermayr, Erste Bürgermeisterin der Stadt Grafing b. München
14. November 2015