Rede zum Volkstrauertag 2018 – Revolution

Liebe Grafingerinnen, liebe Grafinger,
Zum fünften Mal schon darf ich hier am Volkstrauertag als Bürgermeisterin zu Euch sprechen. Diese Ansprache hier ist mir immer besonders wichtig.

Vor vier Jahren, im November 2014, begann ich meine Ansprache mit diesen Worten:

1914, Anfang August, begann der Erste Weltkrieg,

ein Krieg, den unsere Nachbarn auch den Großen Krieg nennen,
ein Kriegsanfang, den das Volk nicht wollte und der der maßlosen Überheblichkeit der Mächtigen geschuldet ist,
ein Krieg, der in Europa nahezu jede Staatsgrenze verschob und nahezu jede Staatsform änderte,

ein Krieg, der es letztendlich auch einem ungebildeten österreichischen Postkartenmaler erlaubte, mit einem willigen Deutschland einen Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen,
ein Kriegsanfang, der zum Ausgangspunkt für all den kriegerischen Unsinn, das Massentöten und die Verwerfungen der letzten hundert Jahre werden sollte,

ein Krieg, der auch hier in Grafing aus nahezu jedem Haus und jedem Hof seine Menschen forderte, um sie auf Schlachtfeldern sterben zu lassen.

Hier bei uns, in Dichau, Elkofen, Nettelkofen, Wiesham und Straußdorf, wie überall auf dem Land, war Erntezeit – und mitten in dieser Erntezeit sollten der Bauer und seine Söhne plötzlich eine Uniform anziehen und irgendwo weit weg fahren, um dort ihnen unbekannte Menschen zu erschießen. Die Begeisterung wird gering gewesen sein, die Sorge groß, die Angst überwältigend.

Heute vor 100 Jahren war dieser unsinnige Krieg wieder zu Ende und wir standen vor den Scherben dieser selbstherrlich-überheblichen Politik – wenn wir überhaupt noch standen.
Alles war kaputt, unsägliches Leid auf allen Seiten.

Nur der deutsche Kaiser, der bayerische König und ihre Generäle und Admirale wollten das nicht sehen und trieben den längst verlorenen Krieg immer weiter in weitere Verluste – bis sich die ausgebeuteten und ausgemergelten Soldaten den letzten Befehlen, die zum ihrem sicheren Tod geführt hätten, einfach verweigerten.

Die Soldaten wollten nicht mehr kämpfen, sie wollten in völlig auswegloser Situation nicht auch noch einen vollkommen unsinnigen Tod sterben. Einen Tod, der dann die sonderbare Bezeichnung „ehrenvoll“ getragen hätte, aber doch nur ein grausamer, leidvoller, unsinniger Tod gewesen wäre.

Sie waren Helden!

Sie waren Helden, gerade weil sie den letzten Befehl verweigert hatten.

Ja, es gibt ein Recht auf Widerstand!

Diese Helden haben durch friedliche Befehlsverweigerung den Krieg dann letztendlich beendet und Frieden geschaffen.
Nicht die bornierte Obrigkeit durch unsinnige Befehle.

Nur eine friedliche Revolution in München und vielen anderen deutschen Städten konnte diesen Krieg beenden – die Kriegstreiber wollten nicht.

Dennoch mussten sich diese Friedensbringer dann den Unsinn des „Dolchstoßes in den Rücken“ und Quatsch wie „Novemberverbrecher“ oder „Vaterlandsverräter“ anhören.
Unsinn wie „Im Felde unbesiegt“ machte die Runde.

Hätten sich nicht in diesen Novembertagen vor 100 Jahren die Matrosen in Kiel und die Soldaten in vielen Kasernen in ganz Deutschland allen weiteren kriegerischen Befehlen verweigert,
das völlig sinnlose und von Regierenden angeordnete Blutvergießen wäre weiter und weiter gegangen, noch viel mehr Männer, Frauen und Kinder wären gestorben und von unserem Deutschland wäre noch viel weniger übrig geblieben.

Deutschland brauchte eine friedliche Revolution, damit das Morden aufhörte.

Fast auf den Tag genau vor 100 Jahren wurde vom Ersten Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner der letzte bayerische König gestürzt und Bayern als Freistaat ausgerufen.

Unser heutiger Freistaat Bayern geht auf den Sozialisten Kurt Eisner und das Ende des Ersten Weltkrieges zurück – wobei Freistaat nichts anderes als „Republik“ im Gegensatz zu „Monarchie“ bedeutet, also „frei“ und nicht einem König untertan.

Eisner hat mitten im Krieg den Frieden durchdacht, hat im autoritären und selbstbezogenen Kaiserreich den Traum von der Demokratie Wirklichkeit werden lassen.

Das Motto dieser Tage war „Jedes Menschenleben soll heilig sein“.

Bayern hat hier eine friedliche Revolution hingebracht und sinnloses Sterben beendet.
Darauf könnten wir ziemlich stolz sein.

Die friedliche Revolution und mit ihr die zwar besorgte, aber positive Aufbruchsstimmung in Bayern, die auch in Grafing spürbar wurde, hielt leider nur einige Monate.
Kurt Eisner, der erste bayerische Ministerpräsident, wurde von einem Rechtsradikalen, heute würde man ihn einfach Nazi nennen, erschossen und mit dem Mord an Kurt Eisner als charismatischem, starkem und durchaus beliebtem Mittelpunkt bahnten sich andere, radikalere Kräfte ihren Weg.

Ein linker Flügel versuchte sich an einer kommunistischen Räterepublik mit Aufstellung einer Roten Armee in München – deren Gegner wurden die Bürgerwehr, Freikorps- und Reichswehreinheiten, die Weißen, die sich, ein halbes Jahr nach Kriegsende, einen kurzen und heftigen Bürgerkrieg in Bayern lieferten.

Unser Stadtmuseum zeigt derzeit übrigens eine sehenswerte Ausstellung über Grafing in diesen Zeiten des Umbruchs. Gehen Sie mal hin!

Nach der Niederschlagung der kurzen kommunistischen Episode in München bewegte sich das Pendel leider etwas zu weit und zu nachhaltig in die andere Richtung: Nationalkonservative und völkische Gruppierungen erstarkten und mittelfristig wurde München zur unrühmlichen „Hauptstadt der Bewegung“.

Gebracht hat uns diese Revolution – neben dem Hauptziel der Beendigung des Sterbens im Ersten Weltkriegs – u. A. den Acht-Stunden-Tag, das Wahlrecht für Frauen und die Trennung von Staat und Kirche.

Kurt Eisner schaute den Mächtigen auf die Finger und gab denen, die darunter litten, eine Stimme und damit ebenfalls Macht und Kraft. Er leistete damit seinen Beitrag zum Ende des schrecklichen und sinnlosen Blutvergießens des Ersten Weltkrieges.

Im europäischen Ausland, Ungarn, Polen, Österreich, sind heute Bewegungen und Denkmuster alltäglich geworden, die jeder hier noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten hätte.

Schauen wir auf die heute Zeit: Es läuft ein schleichender Prozess: Die Sprache fängt schon an, sich zu verändern – und mit ihr das Denken.

Das Aufpeitschende, Spaltende, Diffamierende wird alltäglicher.

Das völkische Denken, bei dem Menschen nach irgendeiner biologischen Herkunft bemessen und in Klassen mit mehr oder weniger Bürger-Rechten eingeteilt werden, gewinnt an Raum.

Deshalb ist es gerade unsere Aufgabe: Frieden erhalten!

Denkmuster voll Hass und Ablehnung erkennen und laut eintreten dafür, dass eine Gesellschaft, in der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gelten, die bessere Alternative ist.

Lassen wir uns von der friedlichen Revolution mahnen,
damit nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts!

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